Was spricht eigentlich gegen eine Staatspleite von Griechenland?


Ein Statement zur Griechenland-Krise von Finanzexperte und Diplom-Kaufmann Ullrich Angersbach. Der selbstständige Marketing Coach und Vertriebsberater für Fondsmanagement-Gesellschaften wägt die Vor- und Nachteile für eine Staatspleite von Griechenland ab.

Griechenland ist seit seiner Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1829 bereits fünfmal Pleite gegangen. Im Vergleich: Deutschland hat es schon zu acht Staatspleiten und Spanien gar schon zu 13 gebracht. Staatspleiten sind weltweit nichts Unübliches und führen erstmal dazu, dass ein solches Land keine neuen Schulden machen kann. Was sollte daran so schlecht sein? Wer mehr Schulden hat als er tragen kann, warum sollte er noch mehr Schulden auf sich nehmen? Sicherlich: Ein Staat, der seine Gläubiger nicht bezahlen kann, verursacht erstmal Enttäuschung und Leid. Aber ist diese Not nicht der Anfang der Heilung?

Konkursverschleppung gilt bei Wirtschaftsunternehmen aus gutem Grund als Straftatbestand. Warum sollte also Griechenland mit immer neuen Krediten (gegen Sparauflagen) zahlungsfähig gehalten werden? Wer handelt unverantwortlicher: Der der Kredite aufnimmt, die er nicht tragen kann oder der der solche Darlehen gewährt?

Ist es nicht viel besser, wenn allen Mitgliedsstaaten der Eurozone klar ist, dass man sich wie in jedem anderen Club an Verträge zu halten hat oder das Ende seiner Mitgliedschaft riskiert?

Finanzexperte und Marketing-Coach Ullrich Angersbach: Griechenland könnte sich selbst aus der Schuldenfalle befreien

Griechenland kann man nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen nach einer Pleite einfach liquidieren. Aber man kann Staatseigentum verkaufen und damit Schulden abtragen. Auch können Gläubiger Schulden teilweise erlassen oder stunden, um so wenigstens einen Teil der Ausstände zu retten.

Ein Staat kann auch Reformen auf den Weg bringen, die seine Wirtschaft leistungsfähiger macht und so die Steuerbasis nachhaltig verbessert. All das wurde seit 2008 versucht. Doch die Staatsschulden stiegen trotz einem gewährten Schuldenschnitt weiter und das Bruttoinlandsprodukt sank seitdem um mehr als 20%. Auch die Arbeitslosigkeit erreichte mit über 25% neue Rekordhöhen. Ist es dann nicht verständlich, dass das griechische Volk sich mehrheitlich gegen weitere Lasten zur Wehr setzt?

Ullrich Angersbach: Ohne Euro wäre Griechenland schneller wieder konkurrenzfähig

Geopolitisch ist Griechenland wichtig. Als NATO-Mitglied sichert es eine Flanke Europas. Flüchtlinge aus den Krisengebieten stranden oft erst dort. Auch werden in Griechenland Gasvorkommen vermutet, die mit denen von Libyen vergleichbar sein sollen. So wäre Europa sowohl von Russland als auch vom Nahen Osten energiepolitisch weniger abhängig. All das spricht dafür, Griechenland in der EU zu halten. Aber ohne Euro wären es ein Land, dass vom Tourismus und der Landwirtschaft lebt, schneller wieder konkurrenzfähig und könnten nach einer Staatspleite bald wieder ihr eigenes Schicksal bestimmen. Doch kann eine Regierung, die ihr Land in eine Staatspleite führt, überleben? 

Aktualisierung vom 12. November 2020:

Die Wirtschaftskrise und die Schulden von Griechenland sind aus den Schlagzeilen. Wäre Corona nicht gekommen, wäre es ein wie immer beliebtes Urlaubsland. Doch auch Corona hat zu keiner neuen Euro-Krise geführt. Hat sich also alles zum Guten gewendet? Gut, die Türkei versucht an Erdölvorkommen heranzukommen, die auch von Griechenland beansprucht werden. Aber die Staatsverschuldung? Sie sollte im Jahr 2020 auf 169,3 % des BIP fallen. Doch Corona hat diese Erwartung zu Nichte gemacht. Wegen der Steuerausfälle und höheren Kosten wird die Staatsverschuldung im Jahr 2020 laut Internationalem Währungsfonds auf ca. 200% des BIP steigen. Die Zukunft wird zeigen, dann die nächsten Euro-Krise ausbricht. Das Eis ist dünner als bei der letzten Krise.

Marketingcoach Ullrich Angersbach war unter anderem bei der bankenunabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaft der Matuschka Gruppe in Deutschland und den USA tätig. Sein Studium als Diplom-Kaufmann absolvierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 2001 wurde er Mitgründer einer Fondsmanagement-Gesellschaft, die an die Börse ging. Nach seiner Tätigkeit im Bereich der Finanzprodukte leitet er heute er ehrenamtlich die Mitarbeiterbetreuung bei der EinDollarBrille e. V. und ist stiller Beobachter des Finanzmarktes.